'Es geht nicht darum der perfekte Veganer zu sein' | #interview
Montag, Januar 08, 2018
Als ich vor gut sechs Jahren auf Maike Hildebrandt und
Martin Mutz getroffen bin, waren sie so ziemlich die ersten Veganer, die mir
über den Weg gelaufen sind. Die beiden Freunde haben sich durch ihre
gemeinsamen Vorstellungen eines ethisch vertretbaren Lebens kennen gelernt, und
vertreten auch heute noch dieselbe Position. Ich kann mich gut erinnern
wie Maike mir damals von verschiedenen Tierschutz-Aktionen erzählte –
allerdings konnte ich mit dem Thema noch ziemlich wenig anfangen. Ich habe ihre
(zu) gewissenhafte Haltung zum Thema Ernährung und Konsum immer etwas belächelt
und recht seltsam gefunden. Witzig oder? Denn heute betrachte ich meine damaligen
Ansichten für wesentlich seltsamer.
In meinem ersten Beitrag auf Living cruelty-free habe ich ausführlich über die gängigsten Gründe für den Umstieg auf eine vegane Ernährung berichtet. Wie würdet ihr zwei denn jemandem am Bartresen kurz und knapp erklären warum ihr vegan lebt?
Maike: Ich lebe vegan weil ich keine Tiere ausbeuten
will.
Martin: Weil es geht. Meine Beweggründe dafür sind
natürlich vielseitig, aber es ist eben doch nur eine Gewohnheitssache.
Ich habe das Gefühl, dass die Themen Umwelt- und Tierschutz in unserer Gesellschaft an Ernsthaftigkeit gewinnen. Was meint ihr, woran das liegen könnte?
Martin: Ich denke das liegt daran, dass es immer mehr
Menschen gibt, die auf die Missstände der Massentierhaltung aufmerksam machen.
Die Fleischindustrie hat mittlerweile ein Problem damit, dass es seit ein paar
Jahren einen regelrechten ‚Vegan-Boom‘ gibt. Gerade die Werbung spielt deshalb
immer noch mit den veralteten Annahmen, dass tierische Produkte wichtig für
unsere Gesundheit sind. Sie sind in unserer Gesellschaft tief gefestigt. Allein
bei der Vorstellung von veganem Kuchen fehlt es vielen Leuten an Fantasie, wie
sowas denn überhaupt gemacht werden kann. Wenn man auf eine Zutat verzichtet
fällt allerdings nicht gleich alles zusammen. Es ist nicht so wie bei einem
Kartenhaus, aus dem man die unterste Karte rauszieht. Man tauscht die unterste
Karte einfach durch etwas anderes aus.
Wie habt ihr bei eurer Umstellung zur veganen Ernährung den Begriff ‚Verzicht‘ erlebt?
Maike: Ich merke keinen wirklichen Verzicht, weil es
mir nicht mehr schwer fällt auf Fleisch und Milchprodukte zu verzichten. Es
gibt so viele leckere Alternativen. Wenn du von etwas überzeugt bist, dann
gewinnst du eher, weil du es schaffst dein Denken auf dein Handeln zu
übertragen. Der Mensch fühlt sich besser wenn er nach seinen Überzeugungen
handelt. Ich wäre deutlich unzufriedener wenn ich anders handeln würde, als ich
es eigentlich für richtig halte. So kann ich wenigstens in den Spiegel schauen
und zufrieden mit mir sein.
Martin: Da geht es mir ähnlich. Ich habe nie das
Gefühl, dass ich auf etwas verzichten muss.
Ihr beide ernährt euch nicht nur vegan, sondern lebt auch komplett vegan. Wie seid ihr dafür sensibilisiert worden, euer eigenes Konsumverhalten zu überdenken?
Martin: Das war ein langjähriger Prozess. Ich habe mich
schon vor meiner Entscheidung vegan zu leben mit umweltfreundlichen
Alternativen beschäftigt. Ob nun Stromgewinnung, erneuerbare Energien oder auch
Plastikverbrauch – die Themen haben mich immer wieder erreicht. Zuerst habe ich
mich nur vegan ernährt, bis ich nach und nach gelernt habe, dass da noch mehr
dahinter steckt. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und war plötzlich der
Vorzeige-Veganer. Alles ging irgendwie miteinander einher.
Maike: Bei mir war es auch ein langjähriger Prozess,
aber dieser Gedanke, dass der Mensch kein Recht hat andere Lebewesen zu töten
oder auszubeuten, der war schon lange da. Ich weiß nicht ob das durch
Fremdeinfluss entstanden ist oder man das einfach als gesunden Menschenverstand
betiteln könnte. Wir Menschen sind auf der Erde nur zu Gast und haben kein
Recht Tiere auszubeuten und zu zerstören. Wir haben nicht nur Verantwortung für
uns und unsere nachfolgende Generation, sondern auch der Erde gegenüber. Wir
sollten sie mit Respekt behandeln. Das tun wir aber nicht.
Ihr beide lebt bereits seit 2011 vegan. Seid ihr in dieser Zeit durchweg konsequent gewesen?
Maike: Nein. Manchmal habe ich immer noch ‚Rückfälle‘.
Bei Fleisch war ich immer konsequent, aber es gibt Situationen wo ich dann doch
mal ein Stück Milchschokolade oder Käse esse. Die sind selten, aber die gibt es
und sie zerstören meine Disziplin, denn sie verführen mich dazu am nächsten Tag
ebenfalls ein Auge zuzudrücken. Allerdings bekomme ich das meistens nach
spätestens zwei Tagen wieder in den Griff und kann dann wieder monatelang
konsequent sein.
Martin: Mir fällt es etwas leichter, deswegen bin ich
nie absichtlich inkonsequent gewesen. Es gab allerdings Situationen, wo ich
nicht richtig aufgepasst und zum falschen Produkt gegriffen habe. Oder es haben
sich bei gewissen Produkten Rezepturen geändert, ohne das ich davon wusste.
Wenn mir in einem Restaurant versehentlich Milchprodukte gegeben werden merke
ich das sofort, denn ich habe in den letzten Jahren eine Laktoseintoleranz
entwickelt. Gelüste kamen bei mir allerdings nie auf. Ich vermisse nichts,
obwohl ich vor meiner veganen Lebensweise sogar noch Fleisch gegessen habe.
Vegetarier und Veganer bekommen oft den Vorwurf sie seien inkonsequent, wenn sie aus Gründen des Tier- und Umweltschutzes kein Fleisch essen, allerdings trotzdem noch Fast-Fashion kaufen oder Smartphones besitzen. Geht es eurer Meinung nach bei dem Thema denn um absolute Konsequenz, oder eher darum überhaupt erstmal sein eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen?
Maike: Für mich geht es eher darum sein Bestes zu
geben. Seien wir mal ehrlich – wer ist schon in seinem Tun und Handeln perfekt?
Niemand. Ich bin dafür, dass man sich immer wieder neue Projekte sucht, auf die
man hinarbeiten kann, wie beispielsweise Zero Waste. Aber von Heute auf Morgen
alles richtig machen zu wollen ist schwer. Wir haben doch noch andere Sachen im
Leben zu tun, auf die wir uns fokussieren müssen. Manche Themen kosten eben
sehr viel Energie und Zeit, um sich erstmal richtig einzulesen und zu
informieren. Die hat nicht jeder, deshalb ist es doch super erstmal da
anzufangen, wo es einmal leicht fällt. Es geht im Leben doch nicht darum der
perfekte Veganer zu sein. Wir sollten wertschätzen was die Menschen aktiv tun,
und nicht darüber urteilen was sie alles (noch) nicht tun.
Martin: Da stimme ich zu. Ich denke wenn man einmal
anfängt, sich mit solchen Themen auseinander zu setzen, desto mehr bekommt man
auch von Projekten mit, die mit den eigenen ethischen Vorstellungen
harmonieren. Beim Thema Smartphone gibt es ja mittlerweile sogar das Fairphone.
Allerdings ist das eben sehr kostspielig. Auf der anderen Seite sind andere
Smartphones ebenfalls teuer und werden oft durch neue ausgetauscht, weil es uns
durch kleine Vertragsänderungen schmackhaft gemacht wird. Dabei produzieren wir
Unmengen an Elektro-Müll, ohne uns darüber wirklich bewusst zu sein. Kurz
gesagt: selbst wenn man nicht perfekt ist und ein Smartphone der großen
Anbieter besitzt könnte man darauf achten es nicht nach wenigen Jahren wieder
zu ersetzen und die wertvollen Handyteile in irgendeiner Schublade verstauben
zu lassen. Ein Bewusstsein über sein Konsumverhalten erlangen, damit könnte
jeder erstmal beginnen.
Maike: Ich glaube dieser Gedanke vom Perfektionismus
hält viele Menschen davon ab vegan oder umweltbewusst zu leben. Sie denken sie
können es nicht hundertprozentig durchziehen, also lassen sie es ganz. Das ist
sehr kontraproduktiv.
Was ich interessant finde: Seitdem ich mich überwiegend vegan ernähre erzählen mir viele Menschen in meinem Umfeld, dass sie mich verstehen können, und erklären ihr Konsumverhalten damit, dass sie bei Fleisch, Eiern und Co. auf Bioqualität achten. Allerdings machen Bio-Produkte weniger als 5 Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes in Deutschland aus. Habt ihr auch schon erlebt, dass Menschen das Bedürfnis haben sich vor euch zu rechtfertigen?
Martin: Ja das passiert schon. Ich denke das liegt
daran, dass man unvorbereitet mit einer Thematik konfrontiert wird, die einem
selber ja eigentlich schon längst bewusst ist. Viele Fleischesser wissen, dass
es sich bei ihrem Steak um das Stück eines toten Tieres handelt, allerdings
können sie es anscheinend sehr gut verdrängen. Viele Mischköstler gehen also in
eine Schutzhaltung und sagen sie kennen die Problematiken der Massentierhaltung
und wüssten deshalb genau wo ihr Fleisch herkommt. Wenn jemand auf Fleisch
verzichtet weil es ihm nicht schmeckt, dann wäre das was ganz anderes.
Maike: Das glaube ich auch. Wenn man mit jemandem in
Kontakt tritt, der sich vegan ernährt, dann wird einem ein imaginärer Spiegel
vorgehalten, und man sieht plötzlich all die Dinge, die man sonst so gerne
verdrängt.
Während meines Projekts bin ich auf zwei verschiedene Lager gestoßen: die Einen, die es bewundernswert und toll finden, und die Anderen, die ein veganes Leben als ‚Schwachsinn‘ abtun und es übertrieben finden. Was glaubt ihr könnte der Grund sein für diese große Schere?
Maike: Menschen, die Veganismus schwachsinnig finden, müssen ja im Gegenzug daran glauben, dass wir das Recht haben Tiere
auszubeuten. Ich finde das ist eine Sache der Lebensphilosophie jedes
Einzelnen. Wer der Meinung ist der Mensch sei die Krönung aller Schöpfung, der
kann das Handeln derer, die aus Rücksicht des Tierwohls auf deren Erzeugnisse
verzichten, nicht nachvollziehen.
Martin: Ich denke das ist aber auch zum Teil Faulheit
und Gewohnheit. Viele wollen sich damit nicht auseinandersetzen. Insbesondere
die ältere Generation kennt es ja nicht anders – für die hat Fleisch immer
dazugehört und war jahrelang Teil ihrer Kultur. Veganer galten für eine lange
Zeit als kleine verrückte Gruppierung, mit der man sich nicht weiter
beschäftigen musste. In meiner Wahrnehmung haben mittlerweile allerdings die
meisten Menschen mindestens einen Veganer in ihrem Bekannten- oder
Freundeskreis. Dadurch wird das Thema präsenter und man wird gezwungen sich
damit auseinander zu setzen. Für Ältere bedeutet das, sie müssten ihr ganzes
Leben in Frage stellen, wenn sie sich ernsthaft damit beschäftigen würden. Und
dann akzeptiert man auch schon mal Halbwissen, wenn es in das eigene Lebensbild
passt und sucht nach Argumenten, die das eigene Denken und Handeln
unterstützen.
Habt ihr Tipps für Menschen wie mich, die sich sehr für die vegane Ernährung interessieren, denen es allerdings Disziplin abverlangt vor allem außerhalb der eigenen vier Wände standhaft zu bleiben?
Martin: Ich glaube gerade am Anfang ist es schon
wichtig, sich in Disziplin zu üben. Wenn man auf der ersten Grillfeier schon
einknickt, dann wird es sehr schwer über einen längeren Zeitraum standhaft zu
bleiben. Wenn man etwas sieht, dass man eigentlich super gerne essen würde,
dann rate ich einfach mal nach veganen Rezepten zu suchen, die so ähnlich
schmecken könnten. Am Anfang habe ich noch total miserabel gekocht, aber das
ist vollkommen egal, man entwickelt mit der Zeit ein gewisses Gefühl dafür. Es
gibt im Internet so viele gute Inspirationsquellen, wo man fündig werden kann.
Verzicht ist da keine Lösung, sondern man sollte sich bewusst machen, wie viele
leckere Sachen man vegan machen kann. Und wenn man eingeladen ist: unbedingt
publik machen, dass man jetzt vegan isst. Dann enttäuscht man auch niemanden,
wenn man einige Gerichte nicht anrührt.
Maike: Ich würde auch vorschlagen selber etwas
mitzubringen. Seien es Kuchen oder Salate. Es kam schon vor, dass mich Leute
belächelt haben, weil ich das Mitgebrachte dann meistens selber aufgegessen
habe, aber wenn es das Einzige ist, was man in solchen Situationen mitessen
kann würde ich auf blöde Kommentare einfach keinen Wert legen.
Wie man es macht ist es verkehrt. Wenn man sich stattdessen nichts nimmt heißt es wieder: du hast ja gar nichts auf dem Teller.
Maike: Dazu fällt mir noch ein, in Restaurants werde
ich oft von der Familie gefragt: „Und Maike… wie schmeckt es dir? Wirst du
davon satt?“ So als seien sie mitleidig und würden denken ich hätte bloß eine
Hungerportion vor mir liegen. Ich glaube das wäre anders hätte ich eine
Allergie oder eine generelle Unverträglichkeit. Da würden keine Sprüche kommen.
Es geht darum, dass man diszipliniert ist und das aus einer Überzeugung heraus
macht.
Zum Abschluss kommen wir zu einer Utopie. Der Philosoph Richard David Precht geht davon aus, dass der Vegetarismus / Veganismus in 20 Jahren die Norm sein wird und man in Schulen neben dem Nationalsozialismus auch die grausamen Machenschaften der Massentierhaltung thematisieren wird. Was glaubt ihr?
Maike: Ich glaube nicht, dass die Menschen in 20 Jahren
schon so weit sein werden. Ich gebe unserer Gesellschaft eher noch 100 Jahre.
Martin: Es hat sich in den letzten Jahrzehnten schon so
viel getan. Die Massentierhaltung wird immer öfter thematisiert. Ich kann mir
daher vorstellen, dass es deutlich mehr Veganer geben wird. Die andere
Möglichkeit wäre natürlich, dass die Menschen durch die ständigen Berichte
etwas abstumpfen. Aber es muss endlich flächendeckend thematisiert werden.
Keine Frage.

0 Kommentare
Lass mir gerne deine Meinung zu dem Thema da. Wenn du auf meinem Blog kommentierst, dann werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Wenn du damit nicht einverstanden bist, dann solltest du von einem Kommentar absehen.